OLG Hamm – 20 U 42/12 – Urteil vom 28.09.2012
Leitsatz
Das Fehlen einer außergewöhnlich schwierigen Prozesssituation schließt das Vorliegen eines unverschuldeten Rechts- oder Tatsachenirrtums aus. Zudem sind für einen unverschuldeten Rechts- oder Tatsachenirrtum bei einem Versicherer, dessen Kernaufgabe gerade darin besteht, seine Eintrittspflicht in einem konkreten Schadensfall zu prüfen, und der über speziell dafür aus- und fortgebildetes Personal verfügt, besonders strenge Anforderungen zu stellen.
Sachverhalt
Auf den am 18.01.2006 festgestellten und der Beklagten gemeldeten Leitungswasserschaden (Havarie), der durch einen seit Dezember 2005 abwesenden Mieter verursacht wurde, lehnte die beklagte Versicherung mit Schreiben vom 15.02.2006 jegliche Leistung unter Berufung nicht eingehaltene Sicherheitsvorschriften, Gefahrerhöhung und grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles ab. Im gesonderten Rechtsstreit stellte das Landgericht Dortmund (2 O 287/06) durch Urteil vom 12.08.2006 fest, daß die Beklagte verpflichtet sei, bedingungsgemäßen Versicherungsschutz aus Anlaß des am 18.01.2006 festgestellten Leitungswasserschadens zu gewähren; die Beklagte nahm die beim OLG Hamm eingelegte Berufung (20 U 153/08) am 17.04.2009 zurück. Die beklagte Versicherung erbrachte sodann Leistungen an den Kläger, wobei sie sich jedoch neben Leistungen zur Schadenbeseitigung nur auf einen Mietausfall von 5.503 € (knapp 4 Monate) beschränkte.
Der Kläger fordert im hiesigen Rechtsstreit von der Beklagten weitergehende Leistungen wegen Mietausfalls sowie die Feststellung, daß die Beklagten den aus dem Mietausfall resultierenden Schaden zu ersetzen hat.
Tenor (Auszug)
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.777,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 337,00 € seit dem 1.5.2006 und aus weiteren jeweils 1.460,00 € seit dem 1.6. ,1.7., 1.8., 1.9., 1.10., 1.11., 1.12.2006, 1.1.2007, 1.2., 1.3., 1.4., 1.5., 1.6. und 1.7.2007 zu zahlen.
- Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 62.780,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 1.460,00 € seit dem 1.8.2007 und monatlich aus weiteren jeweils 1.460,00 € seit dem 1. Kalendertag des jeweiligen Folgemonats, und zwar jeweils monatlich fortlaufend bis zum 1.2.2011, zu zahlen.
- Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, an den Kläger 1.880,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8.1.2011 zu zahlen.
- Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger denjenigen Schaden zu ersetzen, der durch eine erhöhte steuerliche Belastung infolge der Zahlung des Mietausfallschadens in ausgeurteilter Höhe entsteht.
Begründung
Die Beklagte ist verpflichtet, den bereits durch das Landgericht rechtskräftig ausgeurteilten Mietausfallschaden in Höhe von 20.770,00 € in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach Maßgabe der im Tenor genannten Staffelung zu verzinsen. Dieser Zinsanspruch des Klägers ergibt sich zum Teil bereits aus § 23 Nr. 2 der hier vereinbarten VGB 88 (Kopie siehe Bl. 9 der Akte). Nach dieser Regelung ist die Entschädigung des Versicherers, wozu nach § 3 Nr. 1 a, 2, 3 VGB 88 (in der Fassung von Januar 2001) in Verbindung mit der vertraglichen Deckungserweiterung auf 18 Monate auch der in dieser Zeit entstandene Mietausfallschaden gehört
Der Anspruch auf die weitergehende und vom Kläger verlangte Verzinsung in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ergibt sich aus den §§ 280 Abs. 1 und 2 BGB in Verbindung mit § 286 und § 288 Abs. 1 BGB, denn die Beklagte befand sich aufgrund der Regulierungsablehnung mit Schreiben vom 15.02.2006 (Kopie Bl. 6 der Akte) bereits ab diesem Zeitpunkt in Verzug, so daß sie die geschuldete Geldforderung entsprechend zu verzinsen hat.
Der Anspruch auf die weitergehende und vom Kläger verlangte Verzinsung in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ergibt sich aus den §§ 280 Abs. 1 und 2 BGB in Verbindung mit § 286 und § 288 Abs. 1 BGB, denn die Beklagte befand sich aufgrund der Regulierungsablehnung mit Schreiben vom 15.02.2006 (Kopie Bl. 6 der Akte) bereits ab diesem Zeitpunkt in Verzug, so daß sie die geschuldete Geldforderung entsprechend zu verzinsen hat.
Aufgrund des Schreibens vom 15.02.2006 ist zugleich eine Mahnung des Klägers zur Verzugsbegründung entbehrlich, wie sich aus § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB ergibt.
Die Beklagte hat den Verzug auch zu vertreten im Sinne von § 286 Abs. 4 BGB. Insbesondere befand sich die Beklagte nicht in einem unverschuldeten Tatsachen- oder Rechtsirrtum. An einen dem Verzug entgegen stehenden unverschuldeten Rechts- oder Tatsachenirrtum sind nämlich nach der Rechtsprechung strenge Anforderungen zu stellen. Es reicht schon nach allgemeinen Grundsätzen nicht aus, daß sich der Schuldner seine eigene Rechtsauffassung nach sorgfältiger Prüfung gebildet hat (BGH, Urteil vom 06.12.2006, IV ZR 34/05, juris Tz. 14, 15 m.w.N., BGH, Urteil vom 27.09.1989, IVa ZR 156/88, juris Tz. 8). Unverschuldet kann ein Irrtum danach dann sein, wenn der Schuldner mit einem Unterliegen im Rechtsstreit überhaupt nicht zu rechnen braucht, was etwa bei besonders zweifelhaften oder schwierigen Rechtsfragen der Fall sein kann (siehe dazu BGH, Urteil vom 19.09.1984, IV a ZR 67/83, juris Tz. 24). Ein nur „normales Prozeßrisiko“ kann den Schuldner indes keineswegs entlasten (BGH, Urteil vom 06.12.2006, a.a.O., juris Tz. 15 a.E.). Zudem sind für einen unverschuldeten Rechts- oder Tatsachenirrtum nach Auffassung des Senates bei einem Versicherer, dessen Kernaufgabe gerade darin besteht, seine Eintrittspflicht in einem konkreten Schadensfall zu prüfen, und der über speziell dafür aus- und fortgebildetes Personal verfügt, besonders strenge Anforderungen zu stellen.
Im vorliegenden Fall liegen die Voraussetzungen eines unverschuldeten Rechts- und Tatsachenirrtums nicht vor. Es ist vielmehr von einem „normalen Prozeßrisiko“ in dem oben genannten Sinne auszugehen, denn es ging in der gerichtlichen Auseinandersetzung unter anderem darum, ob eine relevante Gefahrerhöhung vorlag und ob der Versicherungsfall durch grobe Fahrlässigkeit des Klägers verursacht worden ist oder nicht. Das Fehlen einer außergewöhnlich schwierigen Prozesssituation zeigt auch die damalige Reaktion der Beklagten, die den vorliegenden Fall keineswegs für besonders schwierig gehalten hat. Sie hat nämlich nach einer kurzen Prüfungszeit von weniger als einem Monat ab Meldung des Schadens durch den Kläger und ohne weitere Untersuchungen in tatsächlicher Hinsicht anzustellen ihre Eintrittspflicht insgesamt abgelehnt.
Die Berufungsanträge zu 2) und 3) sind begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger den Mietausfall in Höhe von 1.460,00 € monatlich für den Zeitraum von August 2007 bis einschließlich Februar 2011 (also für insgesamt 43 Monate = 62.780,00 €) als Verzugsschaden gemäß den §§ 280 Abs. 1, 2 BGB in Verbindung mit § 286 BGB zu ersetzen.
Die Beklagte befand sich bis zum 22.07.2010 mit der Zahlung des aufgrund des Versicherungsfalls geschuldeten Zeitwertschadens in Verzug. Die bestehende Verpflichtung der Beklagten zur bedingungsgemäßen Regulierung des Leitungswasserschadens ist in dem Verfahren LG Dortmund 2 O 287/06 durch Urteil vom 12.06.2008 (rechtskräftig seit dem 17.04.2009) festgestellt worden.
Die Beklage hatte die Regulierung dieses Schadens bereits durch ihr Schreiben vom 15.02.2006 ernsthaft und endgültig abgelehnt, so daß sie sich seit diesem Zeitpunkt gemäß § 286 Abs. 2 Ziffer 3 BGB mit der ihr obliegenden Leistung auch ohne eine Mahnung des Klägers in Verzug befand.
Durch den vorgenannten Verzug der Beklagten mit der Zahlung der Zeitwert-entschädigung ist dem Kläger ein zurechenbarer Schaden in Gestalt des (der Höhe nach unstreitigen) Mietausfalls von monatlich 1.460,00 € entstanden, und zwar im Zeitraum von August 2007 bis einschließlich Februar 2011. Der Kläger war nämlich aufgrund der fehlenden Zahlung seitens der Beklagten gehindert, das Vertragsobjekt wieder in einen vermietungsfähigen Zustand zu versetzen und sodann Einnahmen aus der Vermietung des Objekts zu erzielen.
Der Anspruch des Klägers ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Mitverschuldens gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 BGB zu kürzen. Insbesondere ist von einem Mitverschulden auch nicht deshalb auszugehen, weil es der Kläger pflichtwidrig unterlassen hätte, eigene Mittel oder aber von ihm zu beschaffende Kreditmittel für die zeitnahe Instandsetzung des Gebäudes einzusetzen.
Anmerkung zum selbst erstrittenen Urteil
Das Urteil schildert den jahrelangen, in mehreren Rechtsstreiten geführten Kampf gegen eine große deutsche Sachversicherung, die Leistungen aus der Wohngebäudeversicherung voreilig ablehnte, bevor sie den Sachverhalt in ausreichendem Maße ermittelt hatte. Selbst nach Feststellung der Leistungspflicht mußten weitere Zahlungen eingeklagt werden. Der erkennende Senat hat in einzigartiger Weise herausgearbeitet, daß sich eine die Leistung ablehnende Sachversicherung nicht auf leichtfertige Irrtümer berufen darf. Hierdurch stehen den Betroffenen über den reinen Sachschaden hinaus Leistungen aus Verzug zu, soweit die Leistungsverweigerung kausal für den Verzugsschaden ist.